Positionspapier  der  Ärzteinitiative gegen Massentierhaltung 


In der Verantwortung für die Gesundheit unserer Patienten treten wir für einen sinnvollen Einsatz von Antibiotika in der Human- und Tiermedizin ein und wenden uns daher gegen den systemimmanenten Einsatz von Antibiotika in der agrarindustriellen Tierhaltung mit ihren Gefahren für Menschen und Umwelt. 

Die Ärzte und das Pflegepersonal in Praxen und Kliniken führen einen oft aussichtslosen Kampf gegen Infektionen mit antibiotikaresistenten Erregern. MRSA und ESBL-Keime sind Bakterien, die gegen konventionelle antibiotische Therapien resistent sind . Es erkranken besonders Menschen, die in ihrer Abwehrkraft geschwächt sind. Dazu zählen ganz Junge und ganz Alte, Frischoperierte und Unfallopfer, Krebs-, Nieren- oder Rheumakranke, Diabetiker und ganz besonders Patienten auf Intensivstationen. 

Das Auftreten von MRSA hat sich seit 1992 verzehnfacht. Vorsichtige Schätzungen sprechen von 132.000 MRSA-Nachweisen 1 pro Jahr in Deutschland und  etwa 25.000 Todesfällen 2  an antibiotikaresistenten Keimen pro Jahr in der EU.  Die Zahlen sind erschreckend, umso mehr, als dass eine hohe Dunkelziffer zu vermuten ist. Es gibt bisher keine Meldepflicht für die Erkrankung und den Tod an einer solchen Infektion. Nur besonders spektakuläre Fälle wie der ESBL-Tod von mehreren Frühgeborenen auf einer Station oder die EHEC/HUS-Epidemie finden Niederschlag in der Presse.

Die betroffenen Patienten müssen unter großem Aufwand in den Kliniken isoliert werden, um die Ausbreitung der Keime zu vermeiden. Bestenfalls werden nur Operationen verschoben und die Aufenthaltsdauer im Krankenhaus wird verlängert. Schlimmstenfalls kommt es trotz des Einsatzes von nebenwirkungsreichen Therapien zum Tod des Patienten nach langem Leiden. Die manchmal noch wirksamen sogenannten Reserveantibiotika sollte man besser „ausrangierte Antibiotika“ nennen, da deren Anwendung wegen ihres Nebenwirkungspotentials früher z. T. aufgegeben wurde.  Innovative Antibiotika fehlen, ihre Entwicklung verspricht keine großen Profite für die Pharmaindustrie. Die Mehrkosten für solche Behandlungen sind immens (pro MRSA-Patient 3.000 – 20.000 EUR ). 3

In den Gegenden mit einer hohen Dichte von Massentierställen im Nordwesten Deutschlands lässt sich nachweisen, dass eine zunehmende Anzahl von MRSA-Keimen aus der Nutztierhaltung stammt. Diese Keime (life-stock-associated oder LA-MRSA) machen in einer neueren Untersuchung der Uniklinik Münster 30% der MRSA aus 4.  Hochrisikopatienten sind Landwirte und ihre Angestellten, Schlachthofpersonal und Tierärzte.  Landwirte aus der konventionellen Schweinezucht sind zu 50-86% Träger dieser Keime, Tierärzte bis zu 100% 5

Aber nicht nur die Menschen in unmittelbarem Kontakt zur Massentierhaltung sind gefährdet. Im Auftauwasser von Tiefkühlgeflügel finden sich in 30%  der Fälle ESBL-Keime oder MRSA 6.  22% des frischen Hähnchenfleischs und 42% des frischen Putenfleischs sind befallen 7. Die erforderliche Hygiene in der Küche (Einmalhandschuhe oder Händedesinfektion, Desinfektion von Gerätschaften, getrenntes Verarbeiten von rohen Speisen und Fleisch) dürfte alle Verbraucher überfordern. In der Abluft von Tierställen sind multiresistente Keime noch in 1 km Entfernung nachweisbar. Filteranlagen sind nur begrenzt wirksam. Über die ausgebrachte Gülle werden die Böden kontaminiert. Offene Tiertransporte verbreiten die Keime weitflächig. Mitverantwortlich für das Auftreten dieser multiresistenten Keime ist der Antibiotikaeinsatz in der industriellen Landwirtschaft. Antibiotika erhalten 76% der Schweine und 83% des Mastgeflügels, hier sogar mehrfach und über ein Viertel der Lebensdauer dieser Tiere, was einer 20jährigen Dauermedikation beim Menschen entspräche. Zwar ist die Gabe von Antibiotika zur Mastförderung inzwischen verboten, jedoch gibt es guten Grund zur Annahme, dass die Grenzen zwischen Therapie, Metaphylaxe und Mastförderung fließend sind. Die Landwirte stehen unter großem Kostendruck und sind in Abhängigkeiten von der Futtermittelindustrie und den Großschlachthöfen verfangen. Die Antibiotikagabe kompensiert mangelhafte Hygienestandards und den enormen Infektionsdruck durch die Haltung von (zehn-) tausenden von Tieren auf engstem Raum. Ihr ungezielter Einsatz in subtherapeutischer Dosierung, die wiederholte und aus Kostengründen verkürzte Anwendung werden ungenügend kontrolliert und geahndet. 

Der Antibiotikaverbrauch in der Tiermedizin wird in Deutschland erst seit 2011 erfasst und für 2011 auf 1706 t beziffert. Ein Rückgang  in 2012 um 87 t 8  dürfte auch auf den vermehrten Einsatz von niedriger zu dosierenden Cephalosporinen der 3.+4. Generation sowie von Fluorchinolonen zurückzuführen sein. Gerade diese sind in der Humanmedizin unverzichtbar. Eine große Dunkelziffer bei den Angaben ist zu befürchten, zumal ein Schwarzmarkt für Antibiotika existieren soll.  Die Eigenschaft der ESBL-Keime und der Vancomycin-resistenten Enterokokken, ihre Resistenz-Gene  auf andere Bakteriengruppen übertragen zu können, macht die Situation brandgefährlich.  

Die Zusammenhänge zwischen der Human- und der Tiermedizin und die Auswirkungen auf die Umwelt müssen zusammen betrachtet werden. Wir begrüßen deshalb, dass sich auch kritische Tierärzte gefunden haben, die im Tierärztlichen Forum für verantwortbare Landwirtschaft die geschilderten Missstände anprangern.

1 Köck et al.: Dtsch. Ärzteblatt Int. Nr. 108 (45),2011, S.761-767 

2 Presseinformation der ÄK Niedersachsen 25.4.2012
3 www.mrsa-net.org 

4 Frank Kipp, Univ.klinik Münster in arte 9.1.2014
5 C.Cuny et al. (RKI Werningerode) Präsentation 25.3.2011 

6 Wolfgang Witte, RKI Werningerode in arte 9.1.2014
7 Bundesinstitut für Risikobewertung in arte 9.1.2014 

8 Bundesamt f. Verbraucherschutz, 11.11.2013


 

Wir fordern deshalb:  - die Abkehr von der Förderung der industriellen Landwirtschaft 
   - die Förderung einer tiergerechten Haltung in bäuerlichen Betrieben, die unsere ökologischen Lebensgrundlagen und unsere Gesundheit nicht gefährden. 
   - die Ablehnung von weiteren Massentierställen und Großschlachthöfen. 
   - die bessere Kontrolle des Antibiotikaeinsatzes in der Lebensmittelproduktion und scharfe Sanktionen bei deren Missbrauch.
   - die Reservierung bestimmter Antibiotikagruppen für die Humanmedizin. 
   - die Förderung der Forschung über die Epidemiologie, Prophylaxe und Therapie von Infektionen mit multiresistenten Erregern.   

Wir rufen alle im Gesundheitswesen Tätigen auf, sich diesem Positionspapier anzuschließen und es weiterzuverbreiten.   

Ärzteinitiative gegen Massentierhaltung, c/o Dr. I. Lührs, Osterstraße 1a,  28199 Bremen   aerzteinitiative@t-online.de     Bremen, 6.4.2014  Version 1.1


 

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